Großbritannien: Mafiöse Strukturen in der Müll- und Wasserwirtschaft

Im englischen Oxfordshire am Flusslauf des River Cherwell wurde eine gigantische illegale Müllhalde entdeckt. Auf einer Länge von 150 Metern stauen sich Tonnen von Abfällen, die zu einer Gefahr für die Umwelt geworden sind. Kein Einzelfall in England, das sich nun mit den mafiösen Strukturen seiner Abfall- und Wasserwirtschaft auseinandersetzen muss.

Screenprint via X

Die Region Oxfordshire, nordwestlich von London gelegen, ist eigentlich ein beschauliches Naturparadies. Im County befindet sich nicht nur die weltberühmte Oxford-Universität – die Region ist nun auch zum Schauplatz eines handfesten Umweltskandals geworden, der aufhorchen lässt.

Auf einer Länge von 150 Metern türmen sich im Überschwemmungsgebiet des Flusses Cherwell hunderte Tonnen Plastikabfall. Eine gigantische Umweltkatastrophe droht: Das Einsickern toxischer Stoffe ins Grundwasser könnte die Folge sein, sollte der Fluss durch Regenfälle über die Ufer treten.

— David Atherton (@DaveAtherton20) November 15, 2025

Calum Miller, Parlamentsabgeordneter der Liberaldemokraten des Wahlkreises, forderte von der Regierung eine unmittelbare Reinigungsaktion, um eine Umwelt- und Grundwasserkatastrophe abzuwenden. 

Kein Einzelfall

Bei diesem Müllskandal handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Großbritannien erlebt eine wahre Müllflut – ein systemisches Problem, das sich an vielen Orten zeigt, darunter am Ufer der Themse im Westen Londons, nahe der Hammersmith Bridge. Schon vor Jahren wurde hier eine gigantische Insel aus Abfall entdeckt, die seither als „Wet Wipe Island“ bekannt ist.

Die Masse besteht vor allem aus Feuchttüchern, die beim Spülen in die Kanalisation gelangen. An manchen Stellen türmt sich das Gebilde bis zu einem Meter hoch. Das Gewicht der Insel ist enorm: 180 Tonnen, die sich entlang einer Strecke von rund 250 Meter am Flussufer erstrecken – eine Fläche, vergleichbar mit der Ausdehnung zweier Tennisplätze.

Ursächlich ist nicht nur die weitverbreitete Nutzung von Feuchttüchern. Auch das veraltete Kanalsystem Londons spielt eine entscheidende Rolle bei dem Desaster. Wenn Starkregen die Überläufe aktiviert, gelangen die Tücher ungehindert in die Themse und fügen der Wasserstraße und der Tierwelt durch die Stauung schweren Schaden zu.

Laut Daten der britischen Umweltbehörde wurden allein im Jahr 2023 über 3,6 Millionen Stunden lang Rohabwasser in Flüsse und Küstengewässer eingeleitet – Zustände, wie man sie sonst nur noch aus Entwicklungsländern kennt. Aller guten Willensbekundungen zum Trotz habe sich nichts an der schlechten Wasserqualität in England geändert, warnte Giles Bristow von der Organisation „Surfers against Sewage“. Gleichzeitig seien aber die zusätzlichen Gebühren zur Verbesserung der Infrastruktur, die den privaten Haushalten in Rechnung gestellt werden, um jährlich 123 Pfund gestiegen, so Bristow.

Scheinprivatisierung und die üblichen Verdächtigen

Die Wurzeln des Problems liegen weit zurück in der Vergangenheit. Während der Wirtschaftskrise vor 36 Jahren beschloss man in England eine breitflächige Privatisierung des Abfall- und Wassersektors, ohne jedoch ein echtes marktwirtschaftliches Design mit offenem Wettbewerb und festgelegten Mindeststandards zu definieren.

Man öffnete der Korruption Tür und Tor: Kölscher Klüngel auf britisch. In Großbritannien hat sich in der Müll-, Abwasser- und Recyclingwirtschaft in der Folgezeit ein mafiös anmutendes System etabliert, das vor allem ausländische Investoren anlockt. Etwa 70 Prozent des Investorenkapitals der britischen Wasserwirtschaft stammen aus ausländischen Quellen, berichtet The Guardian.

Darunter finden sich bekannte Namen und die üblichen Verdächtigen, wenn es um rasche Abschöpfung der vom Gesetzgeber auf dem Silbertablett präsentierten Übergewinne geht: So sind beispielsweise die Vermögensverwalter BlackRock und Vanguard (die siamesischen Zwillinge) an Severn Trent beteiligt, Abu Dhabi Investment Authority an Thames Water. Die Hongkonger Gruppe CK Hutchison Holdings ist mit 75 Prozent Mehrheitseigentümer bei Northumbrian Water. 

Es zahlt sich aus, über gute Kontakte in die Politik zu verfügen und fester Bestandteil der öffentlich-privaten Drehtürwirtschaft zu sein, die wachsende Teile der Wirtschaft in ihren Klammergriff gebracht hat. Gerüchten zufolge wechseln selbst hochrangige Politiker zwischen Parlament und Vermögensverwaltern dieser Güteklasse hin und her.

Simple Struktur

Die Struktur der Gewinnabschöpfung funktioniert nach einem simplen Strickmuster, das wie ein Spinnennetz über Teile der Gesellschaft gelegt wird: Die Müll- und Wasserwirtschaft wurde zunächst am Reißbrett regional aufgeteilt, privatisiert und per Lizenz Monopolbetreibern überlassen, die praktisch keiner substanziellen Regulierung unterliegen.

Der Mangel an Wettbewerb und die fehlende gesetzliche Verpflichtung zu Mindeststandards oder Investitionen in die bestehende Infrastruktur ermöglichen astronomische Überrenditen. Diese werden von den Investoren abgeschöpft und größtenteils ins Ausland transferiert.

Den ökologischen Schaden und die enormen gesellschaftlichen Kosten dieses Gebarens trägt der britische Steuerzahler. Die Folgen für die allgemeine Gesundheit böten Stoff für eine gesonderte Analyse. Es handelt sich um kriminelle Machenschaften der Betreiber, die vom Gesetzgeber gedeckt werden.

Marktöffnung und Haftungsregeln

Die Lösung dieser Katastrophe liegt auf der Hand: eine generelle Marktöffnung – auch für kleinere, lokale Anbieter. Wettbewerb erzeugt den dringend benötigten qualitativen Zugzwang für die etablierten Betreiber. Hinzu kommt eine klassische Forderung liberaler Ökonomen, die längst umgesetzt sein müsste: die vollständige Internalisierung von Haftungsrisiken und Folgeschäden zugunsten der Geschädigten.

Dass genau darauf bislang verzichtet wurde – und politisch aktiv gegen eine Umsetzung gearbeitet wird –, macht deutlich, dass wir es hier mit einer engen Verflechtung regionaler Politik und der Monopolbetreiber zu tun haben. Es ist eine unselige Gemeinschaft, die sich in Großbritannien einen der sensibelsten Bereiche der öffentlichen Hygiene und der Umweltpolitik unterworfen hat – und die nun unter maximalen öffentlichen Druck gesetzt werden sollte.

Eine gangbare Option, um die bisherige Strategie zu unterbinden, wäre die Hinterlegung eines Kapitalpuffers beim Markteintritt eines Unternehmens, der für mögliche Umweltschäden genutzt werden könnte. Es wäre nicht die klassische marktwirtschaftliche Lösung – aber in einer Übergangsphase vielleicht die einzige Möglichkeit, um schnell Druck vom Kessel des Fiskus zu nehmen, der in England ohnehin mit enormen Schulden kämpft und der nun für den Schaden aufkommen muss.

Anzeige

Unterstützung
oder